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Pressemeldungen

Baupräsident rechnet erst ab 2024 wieder mit Aufwärtstrend

Fachkräftemangel - Verband setzt verstärkt auf Frauen am Bau

Stuttgart. Optimismus zu Jahresbeginn, Ernüchterung am Jahresende. Das ist kurzgefasst die Baubilanz für 2022. Insbesondere der Wohnungsbau ist ins Trudeln geraten. Die Gründe: Zuallererst die angespannte geopolitische Lage, daraus folgend massive Preissteigerungen für Baumaterial und Energie, dazu eine hohe Inflationsrate sowie deutlich gestiegene Bauzinsen. Überdies wurden die Förderprogramme für den Wohnungsneubau im ersten Halbjahr 2022 ausgesetzt. Was folgte, war eine regelrechte Stornierungswelle. Rund 20 % der bereits erteilten Wohnungsbauaufträge gingen im letzten Jahr verloren. Neue Aufträge kamen kaum hinzu, die Firmen leben vom noch immer recht hohen Bestand. Auch im Wirtschaftsbau ging die Nachfrage stark zurück, der Öffentliche Bau blieb stabil.

Laut Verbandsumfrage erwarten 63 % der Firmen eine Verschlechterung ihrer Geschäftsentwicklung in den nächsten sechs Monaten. Für das Gesamtjahr 2022 rechnet Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, mit einem realen Umsatzminus von 7 %. 2023 erwartet er ein preisbereinigtes Minus von 8 %. Dennoch ist Böll zuversichtlich, dass sich der Bau ab 2024 von dieser konjunkturellen Delle erholen wird, weil der Bedarf an Wohnraum und an Investitionen in die Infrastruktur gewaltig ist.

Deutlich entspannt hat sich die Versorgungslage bei Baumaterial, ebenso wie die extreme Preisspirale. Der Peak scheint erreicht, das Preisniveau bleibt aber hoch. Massive Kritik übt Markus Böll am derzeitigen wohnungsbaupolitischen Kurs der Bundesregierung: „Statt die Bauwilligen angesichts der schwierigen Umstände finanziell zu unterstützen, herrscht Kahlschlag in der Förderpolitik. Anstelle der 10 Mrd. Euro für den Wohnungsneubau wie bisher soll es 2023 nur noch 1 Mrd. Euro geben, und das bei verschärften Standards. Verständlich, dass viele Menschen frustriert ihr Bauvorhaben aufgeben. Von den jährlich anvisierten 50.000 neuen Wohnungen im Ländle sind wir weit entfernt.“

2022 wurden in Baden-Württemberg schätzungsweise 34.500 Wohneinheiten fertiggestellt. Weil die Baugenehmigungszahlen seit Monaten sinken (Jan-Nov: -8,4 %), erwartet der Verband für das laufende Jahr einen Rückgang auf 31.500 Wohnungen. Um Anreize zu schaffen, wurde zu Jahresbeginn immerhin die lineare Abschreibung von 2 auf 3 % angehoben. Das allein aber reicht nicht, meint Baupräsident Böll. Wichtig wäre vor allem eine Eindämmung der unzähligen Bauvorschriften. „Diese Überregulierung schnürt allen die Luft ab. Deshalb unser klarer Appell an die Politik: Packt dem Bau nicht noch mehr oben drauf! Wir fordern eine Aussetzung sämtlicher Preistreiber. Das heißt, keine Verschärfung der technischen Standards, keine Erhöhung von Mautzuschlägen und keine neuen Zusatzkosten, die das Bauen weiter verteuern. Was wir brauchen, ist ein 'Bauen Light' mit abgespeckten Standards.“ Ausdrücklich begrüßt er daher die aktuellen Überlegungen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die Baustandards abzusenken. „Sonst bekommen wir womöglich Zustände wie in Amerika, wo Leute in Trailer-Parks wohnen, weil sie sich keine festen eigenen vier Wände mehr leisten können. Auch 'Living in the Box', wie etwa im Tiny House, ist kein Zukunftsmodell.“

Ein anderes Problem ist der akute Fachkräftemangel. Laut Verbandsumfrage gaben 74 % der Betriebe an, dass ihre Bautätigkeit durch fehlende Arbeitskräfte behindert wird. Aktuell liegt die Zahl der Beschäftigten bei knapp 114.000. Zudem geht in den nächsten zehn Jahren rund ein Viertel der Baufacharbeiter in Rente. Trotz größter Ausbildungsanstrengungen klafft also eine gewaltige Personallücke. Jetzt seien praktische Lösungen gefragt, erklärt Böll: „Wir müssen Deutschland wieder attraktiver für Leistungsträger machen – vom IT-Spezialisten bis hin zum Bauhandwerker. Wir müssen zum Beschäftigungsmagnet in Europa werden!“ Sicher sei die geplante Entfristung und Ausweitung der Westbalkanregelung sinnvoll, denn die Forderung nach Arbeitskräften aus außereuropäischen Drittstaaten werde nicht den gewünschten Effekt bringen. Wichtig ist aber vor allem, die Beschäftigten hierzulande in Arbeit zu halten. Dazu braucht es zusätzliche Maßnahmen und Anreize. „Wir schlagen zum Beispiel eine steuerfreie Bezahlung von geleisteter Mehrarbeit vor, eine Halbierung der Lohnsteuersätze und eine freiwillige Verlängerung der Lebensarbeitszeit bei attraktiver Vergütung.“

Außerdem müsse man zusätzliche Ressourcen an potentiellen Arbeitskräften nutzen bzw. aktivieren. Der Verbandschef setzt dabei künftig auf deutlich mehr Frauen auf dem Bau. „Das Gesicht der Bauwirtschaft muss weiblicher werden!“ Bereits in den vergangenen Jahren habe man intensiv versucht, Schulabgängerinnen für einen Bauberuf zu interessieren. Mit mäßigem Erfolg: Nur 2,3 % der gewerblichen Auszubildenden sind bislang weiblich. Beim Bauingenieurstudium sind es immerhin gut 30 %. Dabei haben Technisierung, Robotik und Digitalisierung die Tätigkeiten auf dem Bau stark verändert. Statt Muskelkraft zählt vor allem Knowhow. Doch auch in den Bauunternehmen selbst müsse umgedacht werden. „Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ortsnahe Baustellen und ein diskriminierungsfreies Betriebsklima sind wichtige Aspekte, um den Bau für Frauen attraktiver zu machen. Hier haben wir noch ein gutes Stück Arbeit vor uns.“

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