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Pressemeldungen

Ohne Bauwirtschaft keine Energiewende, aber es fehlt an Fachkräften

Baupräsident Böll: „Die Messlatte für Bauherren liegt zu hoch. Viele Bauwillige springen da nicht mehr drüber, sondern sie springen ab.“

Stuttgart. Die Abhängigkeiten und Lieferprobleme rund ums Gas zeigen, dass die Energiewende mit Hochdruck vorangetrieben werden muss. Dazu braucht es auch die Expertise der Bauwirtschaft, und zwar in vielfältigen Bereichen. Der Gebäudesektor erzeugt insbesondere in der Betreiberphase noch immer sehr hohe CO2-Emissionen, was vor allem auf veraltete Heizsysteme zurückzuführen ist, die zudem hohe Nebenkosten verursachen. Der Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, Markus Böll, fordert deshalb bei Neubauten eine echte Klimaoffensive: „Häuser müssen heute so gebaut werden, dass sie möglichst wenig oder gar keine Energie verbrauchen. Dazu benötigen wir eine bessere Kombination von regenerativen Energien und innovativen Bauweisen. So lassen sich energieautarke Häuser realisieren.“ Als Beispiel nennt er die thermische Bauteilaktivierung. Damit bezeichnet man Heiz- bzw. Kühlsysteme, bei denen wasser- oder luftführende Rohrleitungen durch Wände und Decken verlaufen und zugleich die hervorragende Speicherkapazität von massiven Bauteilen zur Temperaturregulierung nutzen. „Um die Energiewende voranzubringen, sollte diese Technologie möglichst flächendeckend zum Einsatz kommen“, so Böll.

Scharfe Kritik übt der Verbandspräsident an der sprunghaften und wenig verlässlichen Förderpolitik der Bundesregierung im Bereich klimafreundliches Bauen und Sanieren. Der plötzliche Stopp der KfW-Förderung für energieeffiziente Gebäude Anfang dieses Jahres schockte Bauherren und Bauunternehmen gleichermaßen. Das Nachfolgeprogramm für den Neubaubereich im Frühjahr war noch am Tag des offiziellen Starts innerhalb weniger Stunden ausgeschöpft. Seitdem werden Förderungen nur noch unter verschärften Auflagen vergeben: Staatliche Unterstützung im Neubaubereich gibt es aktuell ausschließlich für Bauvorhaben, die den anspruchsvollen Standard Effizienzhaus/Effizienzgebäude 40 mit Nachhaltigkeitsklasse (NH) erfüllen. Auch die Förderung für energetische Sanierungen wurde im Juli spürbar eingeschränkt. Zudem zeichnet sich ab, dass
das für 2023 angekündigte neue Förderprogramm „Klimafreundliches Bauen“ lediglich mit 1 bis 1,5 Milliarden Euro ausgestattet wird. „Dieser Betrag ist viel zu niedrig angesetzt. Seit Jahren werden den Bauherren immer neue und zusätzliche Kosten aufgebürdet. Die Messlatte liegt zu hoch. Da springen viele Bauwillige nicht mehr drüber, sondern sie springen ab“, kritisiert Markus Böll. Zudem könnten nicht alle alten Bestandsgebäude saniert werden. Böll schlägt daher eine Abwrackprämie für ungenutzte Altimmobilien vor. Dadurch würde man Anreize schaffen, um Altbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht lohnt, abzureißen. An ihrer Stelle könnten neue Wohngebäude entstehen, ohne zusätzlich Flächen zu verbrauchen.

Ein weiterer wichtiger Sektor zum Erreichen der Klimaschutzziele sind der Verkehrsbereich und die Elektromobilität. Hier will die Bundesregierung die Zahl der vollelektrischen PKW bis 2030 auf 15 Millionen erhöhen. Zugleich soll die Anzahl der öffentlichen Ladepunkte auf 1 Million steigen, mit Schwerpunkt auf der Schnellladeinfrastruktur. In Baden-Württemberg liegt die Zahl der öffentlichen Ladepunkte derzeit bei gerade mal rund 11.000. „Hier muss deutlich mehr Tempo rein“, fordert Mathias Waggershauser, Vizepräsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. „Dazu braucht es allerdings schnellere Genehmigungsverfahren und eine stärkere Bereitstellung von geeigneten Flächen für die öffentlichen Ladesäulen.“ Auch die private Ladeinfrastruktur, die etwa 85 % ausmacht, muss mit in das vorhandene Stromversorgungsnetz eingebunden werden. Dafür sollten die bestehenden Netzkapazitäten optimiert werden. Schätzungen gehen von einem ca. 20 Prozent höheren Strombedarf bis 2030 durch die E-Mobilität aus.

Auch der flächendeckende Ausbau des Glasfaserkabelnetzes kommt wegen zu langer Planungsverfahren und Koordinationsproblemen nur schleppend voran, und das in Zeiten von verstärktem Homeoffice. In Baden-Württemberg verfügen momentan 59,5 % aller Haushalte über einen Glasfaseranschluss. Vor allem im ländlichen Raum gibt es jedoch noch erhebliche Lücken. Bei der Verlegung von Breitbandkabel wehrt sich die Bauwirtschaft übrigens gegen die aktuelle Trenchingverfahren. Danach werden Leitungen maximal nur 30, teils aber nur fünf Zentimeter tief ins Erdreich verlegt. „Das ist zwar billiger als mehr in die Tiefe zu gehen, aber extrem risikobehaftet. Denn immer wieder müssen im Nachhinein Reparaturarbeiten durchgeführt werden. Dabei laufen unsere Baggerfahrer trotz Leitungsauskünfte permanent Gefahr, dass sie mit ihrer Schaufel eine nicht sichtbare Leitung beschädigen“, kritisiert Waggershauser. „Im Schadensfall liegt das Risiko voll beim Bauunternehmen - sowohl was die Kosten angeht als auch mögliche Personenschäden. Außerdem gibt es bis heute kein flächendeckendes
Netzkataster, um zu sehen, wie die Leitungen im Erdreich verlaufen. Wir fordern deshalb einen bundesweiten Masterplan für Leitungsnetze.“

Ein weiteres Problem, mit dem die Branche zu kämpfen hat, ist der enorme Fachkräftemangel, trotz gestiegener Ausbildungsquoten. Darüber klagen gut 40 Prozent aller Bauunternehmen. Hauptgrund: der demografische Wandel. Überdies wird es immer schwieriger, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, denn das Lohnniveau hat sich mittlerweile insbesondere in den osteuropäischen Ländern deutlich an den Westen angepasst. „Deutschland muss deshalb wieder ein attraktiver Standort auch für Arbeitskräfte aus dem europäischen Ausland werden“, fordert Verbandspräsident Markus Böll und schlägt vor, mehr finanzielle Anreize zu schaffen. „Zusätzlich könnte ein neues attraktives Angebot des freiwilligen längeren Arbeitens über das Renteneintrittsalter hinaus einen echten monetären Mehrwert bieten, der sich lohnt.“

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